Gegen Lethargie und Hilflosigkeit


Bad Nauheim (hau). »In Bad Nauheim ist ja richtig was los«, staunte am Mittwochabend ein weit angereister Gast. Im Gemeindesaal von St. Bonifatius hatten sich derart viele Menschen zur Startveranstaltung des neuen Vereins »Nachbarschaftshilfe Bad Nauheim« eingefunden, dass die Stühle kaum reichten. Zu Veranstaltungsschluss hatte sich die Mitgliederzahl zumindest verdoppelt. Mit viel Wind im Segel können die ersten 40 Freiwilligen unter dem Motto »Miteinander füreinander« ans Werk gehen: Mitmenschen in allen erdenklichen Lebenslagen helfen oder selbst Hilfe in Anspruch nehmen. Vor fünf Wochen hatte sich der Helferpool formiert, um das soziale Kapital in der Badestadt zu aktivieren und in geordnete Bahnen zu lenken. Hervorgegangen war der Verein aus einer Projektgruppe der Bürgerstiftung »Ein Herz für Bad Nauheim«. Deren Präsident Armin Häfner bezeichnete in seiner Begrüßung dieses »Kind der Stiftung« als beispielhaft für den Bürgerwillen, in der Stadt Dinge voranzubringen. Erstmals schüttete die Stiftung einen namhaften Euro-Betrag als Starthilfe für ein Projekt aus.

Ein flammendes Plädoyer für das »Lebewesen Gemeinschaft Stadt« hielt Bad Vilbels Altbürgermeister  Günther Biwer. Zurückgreifen konnte er auf fünfjährige Erfahrung mit der Nachbarschaftshilfe in der benachbarten Badestadt. »Menschlicher Zusammenhalt kräftigt das Immunsystem und stabilisiert den einzelnen Menschen«, meinte Biwer. Ehrenamtlich engagierte Menschen seien wie ein Immunsystem des Gemeinschaftskörpers Stadt - sozusagen Antikörper, die zu Felde zögen gegen »Lethargie, Einsamkeit, Lieblosigkeit, Fremdartigkeit, Frustriertheit, Hilflosigkeit, Armutskarzinom, Familienmagersucht, Umweltkrebs, Friedensfraß, kurz alle sozialen Krankheitskeime des postindustriellen Zeitalters«. Diese Selbstheilungskräfte böten die Gelegenheit zur Veränderung und seien der »soziale Kitt«.

Von der nachbarschaftlichen Helferpraxis in Bad Vilbel und Butzbach berichteten auch die Vorsitzenden Hannelore Lotz und Gisela Bastke. Bewährt habe sich das offene Zugehen auf alle etablierten Einrichtungen. Das neue »Wir-Gefühl« mache Spaß und habe schon viel bewegt. Im Namen der Landes-arbeitsgemeinschaft soziale Brennpunkte in Hessen stellte Christoph Kummer aus Frankfurt die neue Servicestelle Soziale Stadt vor.

Die wissenschaftliche Seite des Ehrenamts, seine Konjunktur und Bedeutung sowie die Konsequenzen für Bad Nauheim beleuchtete Prof. Gerd Iben. Das Gefühl der Zugehörigkeit sei die Basis für die Übernahme sozialer Verantwortung. Jeder Einzelne müsse die Balance zwischen Gemein- und Eigensinn wahren, habe doch Nächstenliebe nichts mit Selbstverleugnung zu tun. Der Furcht von Politik und Sozialarbeitern vor »Einmischung« sei durch Offenheit zu begegnen. Freiwilligkeit sei kein »Sparstrumpf« oder Ersatz für Erwerbstätigkeit. Die Nachbarschaftshilfe sei keine Konkurrenz, sondern eine zusätzliche Vermittlungsagentur.

Auf den Werdegang der Nachbarschaftshilfe ging Jörg Krämer ein, der das Projekt zusammen mit Iben ins Rollen gebracht hatte. Bei bislang fünf Sitzungen sei mit Hilfe aus Bad Vilbel ein Konzept zur Organisation der gegenseitigen Hilfe entwickelt worden. Dazu gehöre als Herzstück auch die EFI-Ausbildung (Erfahrungswissen für Initiativen).

Dass die Idee vom ehrenamtlichen Helfen weitergetragen werde, wünschte sich Ortwin Faatz, Vorsitzender des Nachbarschaftshilfe-Vereins. Dem Vorstand zur Seite stünden weitere Ehrenamtliche, die sich beispielsweise im computergesteuerten Management oder im Büroteam nützlich machten. Beifall gebührte schließlich dem Ensemble »Quertöne«, das für die Auftaktveranstaltung zwei Bürgerlieder einstudiert hatte.

Vereinsmitglied werden kann jeder Bürger Bad Nauheims oder Ober-Mörlens, der helfen will oder Hilfe benötigt. Erledigte Aufträge werden dem Helfer dem Zeiteinsatz entsprechend auf ein Punktekonto verbucht, von dem bei Inanspruchnahme von Hilfe abgehoben wird. Wer über kein Guthaben verfügt, bezahlt für eine Hilfestellung und muss Mitglied sein. Der Jahresbeitrag beträgt zwölf Euro. Bislang aufgelistete Hilfsangebote
drehen sich um die Gebiete Begleitung, Besuch, Haushalt, Technik und Reparaturen, Beratung, Kinderbetreuung, Krankheit, Garten oder Mitarbeit im Verein. Weitere Vorschläge sind erwünscht. Das Büro der Nachbarschaftshilfe in der Rittershausstraße 10 ist besetzt montags und freitags von 10 bis 12 Uhr und mittwochs von 15 bis 17 Uhr. Telefonisch zu erreichen ist der Helferpool unter 0 60 32/93 72 80, per E-Mail unter
info@nachbarschaftshilfe-bad-nauheim.de.

Bildunterschriften (von oben nach unten)
Überraschend gut besucht 
Bad Vilbels Altbürgermeister Günther Biwer
Prof. Gerd Iben 
Know-iT Solutions