Kurstadt-Anekdoten für einen guten Zweck

Bad Nauheim (hau). »Immer schon war er ein fröhlicher Mensch, der das Besondere liebte, das Absonderliche am Rand des Alltäglichen. Es war, als ob es ihm zufliege. Und er hat die Gabe, das Geschehene und Gesehene durch das Wort wieder heraufzurufen.
Er ist der geborene Erzähler.« Dies schrieb vor zwanzig Jahren Erich Brücher über seinen Mitschüler und Freund Heinrich Burk. Insgesamt 242 Geschichten aus dem Herzen seiner Heimatstadt Bad Nauheim hat Burk im letzten Vierteljahrhundert zu Papier gebracht. Sein feiner Sinn für Humor verleiht ihnen Strahlkraft, ihre fantasieanregende Authentizität hält der Kurstadt den Spiegel vor und rettet Überlieferungen auf ebenso amüsante wie zeitkritische Weise in die Zukunft.
Einen herzerfrischenden Querschnitt von Anekdoten aus 213 Jahren Stadtgeschehen brachte der Autor am Sonntagnachmittag mit zu einer Lesung der besonderen Art. Just in dem ältesten Gasthaus der Stadt, in dem sich einst ein Teil seiner ersten Erzählung zutrug, waren rund 60 Zuhörer zusammengekommen. In den Saal des Gasthauses "Zur Krone" hatte die Bürgerstiftung "Ein Herz für Bad Nauheim" zu einer Benefizveran-
staltung gleichnamigen Titels eingeladen. Der Erlös kommt der Stiftung zugute. Unterstützer waren neben den Aktueren selbst die Buchhandlung am Park, der Unternehmer Bernd Felgner und die Wetterauer Zeitung.
Kaum hatte der Begrüßungssekt seine Wirkung entfaltet, bereitete auch schon János
Kékesis Kurkapelle mit vertrauten Melodien den Boden für zwei Stunden köstlichen Schwelgens in alten Zeiten. Aktuelle Brückenschläge vom atmosphärisch dichten Hauch der Belle Epoque zur Gesellschaft von heute wob Burk pointiert zwischen seine Geschichten ein und bestätigte das Bild, das Stiftungspräsident Armin Häfner in seiner Begrüßung von einem Autor gezeichnet hatte, der erst im Ruhestand zur Feder griff. Burk sei auch kurz vor seinem 92. Geburtstag von erstaunlich geistiger Frische und körperlicher Rüstigkeit »ein 60er in seinen besten Jahren eben«. Jahrzehnte hatte Burk eine Buchhandlung in der Parkstraße geführt. Auch dieses älteste Einzel-
handelsgeschäft der Stadt sollte im Lauf der Lesung noch Bedeutung bekommen.
Zunächst jedoch wurde das Auditorium in eine Zeit zurückversetzt, da Nauheim den Sieg einer Schlacht feierte, die es gar nicht gab. Statt den zeitweise im Gasthaus »Zur Kron« einquartierten Franzosen auf dem Johannisberg die Stirn zu bieten, begab sich 1792 nämlich Hauptmann Rudolf Mondorf mit seinen Mannen in Gefangenschaft des Gegners - angesichts dessen Übermacht - eine weise Entscheidung, die viele Menschenleben rettete. Achtzig Jahre später, so erfuhren die gebannten Zuhörer, ließen dann tatsächlich zwei eher unliebsame Zeitgenossen auf unnatürliche Art ihr Leben im aufstrebenden Städtchen. Lange noch sollte der »Mord in der Nauheimer Spielbank« für Gesprächsstoff sorgen. Positiv spektakulär verlief 1910 der »Besuch aus Sankt Petersburg«. Über Wochen genoss die Zarenfamilie die Annehmlichkeiten der Kurstadt und unternahm auch Anstrengungen, den sechsjährigen Spross Alexej im Buchgeschäft vis-à-vis des Kurparks ans Lesen zu bringen. Dass sich das Zaren-
söhnchen schließlich doch eher für sein eben erstandenes Dreirad interessierte, befand Burk für nur normal.
Seine Erinnerung an den 30. Januar 1933 knüpfte der Autor und Lokalhistoriker an eine damals besonders bei den Frauen beliebte Radiostimme. Sie hatte nach Bekanntgabe der Wahl Hitlers zum Reichskanzler den Nar(r)hallamarsch spielen lassen. Der Mut des Sprechers wurde mit seiner Entfernung quittiert. Einen unbeschwerten Streifzug durch den Sommer 1934 unternahm der Autor mit einer Schmunzelgeschichte zum »Frühbad im großen Teich«, deren nächtens entblößte Protagonisten das Ende des großen Rosenfestes im Kurhaus als ausgesprochen peinlich erfuhren. Schelme hatten die Kleider der angeheiterten Schwimmer entwendet, die dann im Adamskostüm um Einlass in ihre Nobelherberge begehren durften.
Prügelei mit Ringelnatz
Ein feucht fröhliches Ende nahm auch zwanzig Jahre später im Morgengrauen das Gelage höherer Herrschaften der Bad Nauheimer Gesellschaft. Das wonnig-süße »Bad eines Stadtrates im Sprudelhof« konnte Burk nicht zur Nachahmung empfehlen. Derweil endete "Der besondere Tag im Leben des Dr. Gottlieb Bennemann" unerwartet gut. Hatte sich der kirchentreue Stammgast, dessen Namen der Autor geflissentlich änderte, im legendären Hupfeld-Casino auch zunächst mit dem großen Lyriker Ringelnatz um dessen lockere Schreibweise geprügelt, so sollten die beiden Herren am Ende doch ihre lebenslange Freundschaft entdecken.
Nicht zuletzt entpuppte sich die lebhafte Lesung als gelungene Symbiose aus Sprache
und Musik, die mit viel Beifall belohnt wurde. Mit viel Gefühl griff das Kékesi-Quartett (seit 1988 im Dienst der Kurstadt) die jeweilige Stimmung auf, um das gesprochene Wort im virtuosen Melodienreigen nachklingen zu lassen. Unversehens wurden die Zuhörer mit Militärmusik aufs Schlachtfeld entführt, mit dem Zarewitsch nach Petersburg oder mit Walzern und dem Deutschmeister Regimentsmarsch in den Bad Nauheimer Frühling.
Mit Elvis zog die Gesellschaft noch nicht »Zum Städele hinaus«. Vielmehr stand sie
noch lange Schlange, um sich die literarischen Neuerwerbungen vom Autor selbst signieren zu lassen. Alle Werke von Heinrich Burk sind auch im Buchhandel erhältlich,
unter vielen anderen der »Tatort Grand Hotel«, »Bomans«, »Elvis in der Wetterau« oder
»Dies ist meine Stadt«.
Bildunterschrift:
Haben ein Herz für Bad Naueim: Heinrich Burk (sitzend) und das Kékesi-Quartett.